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Wissenschaft persönlich: Dr. Tobias Hayer

Portrait Dr. Tobias Hayer
Diplom-Psychologe Dr. Tobias Hayer forscht auf dem Gebiet der Glücksspielsuchtforschung an der Universität Bremen. Im Fokus seiner wissenschaftlichen Tätigkeit stehen derzeit u. a. drei Forschungsprojekte, die sich mit unterschiedlichen Risikogruppen beschäftigen: Glücksspielbezogene Probleme im Alter, bei Personen mit Migrationshintergrund und bei Mitgliedern von Sportvereinen.

© WFB/Jonas Ginter

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im Mai 2021 stand uns der Diplom-Psychologe Dr. Tobias Hayer Rede und Antwort: Der Forschungsschwerpunkt des Wissenschaftlers der Universität Bremen liegt auf der Glücksspielsucht.
Warum Tobias Hayer gerne mal einen Tag lang in die Rolle von Jan Böhmermann schlüpfen würde, mit welchem Bremer Kultgetränk er Nachwuchswissenschaftler:innen bekannt machen würde und warum er Bremens Wissenschaftsszene mit einem Chamäleon vergleicht, verrät er hier bei „Wissenschaft persönlich“:

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?

Ich hatte kurz überlegt, Medizin oder Jura zu studieren. Die Wahl fiel dann aber recht schnell auf die Psychologie, hier interessierten mich vor allem rechtspsychologische aDie operative Fallanalyse, im Allgemeinen als Profiling bekannt, hat für mich immer eine hohe Anziehungskraft ausgeübt. Profiler bzw. Tatortanalytiker wäre ein cooler Job gewesen.

  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?

Da gibt es zahlreiche Momente, die Forschungsarbeit im Alltag ist abwechslungsreicher als viele Menschen annehmen. In erster Linie denke ich hier an den gesamten Forschungsprozess, der von einer überzeugenden Idee über die funktionierende Umsetzung des Projekts (inkl. der Sicherstellung seiner Finanzierung) bis zur Veröffentlichung des Abschlussberichts reicht und immer wieder Highlights mit sich bringt. Früher sorgte bei mir jede angenommene Fachpublikation für Freude. Heute sind es eher andere Dinge wie ein gelungener Vortrag, Presseberichte mit Breitenwirkung oder ein positives Feedback von Betroffenen. Natürlich genieße ich auch das Privileg, beruflich viel reisen und mein Fachwissen auf Tagungen weitergeben zu dürfen. Über allem steht aber der Erkenntnisgewinn, insbesondere dann, wenn die Forschungsergebnisse nicht zwingend den Erwartungen entsprechen.

  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besuchern erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?

Das liegt thematisch in diesem Setting auf der Hand: Eine Tombola mit attraktiven Gewinnmöglichkeiten. Hier könnte ich mit den Menschen über die Faszination des Glücksspiels direkt ins Gespräch kommen und zugleich über Gefahren bzw. Risiken aufklären. Und folgende Kernbotschaften vermitteln: (1) Glücksspiel macht Spaß, solange es in Maßen nachgefragt wird. (2) Beim Glücksspiel gibt es immer einen sicheren Gewinner, nämlich den Anbieter.

  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?

Glücksspielsuchtforschung ist immer als Querschnittsaufgabe zu verstehen, die mit sozialen, medizinischen, ökonomischen, juristischen und nicht zuletzt gesundheitswissenschaftlichen Implikationen einhergeht. Ich verbinde mit meiner wissenschaftlichen Arbeit den Anspruch, evidenzgestützte Vorschläge zu einer Verbesserung des Jugend- und Spielerschutzes zu unterbreiten. Im Kern geht es darum, gesellschaftliche Verhältnisse so zu gestalten, dass die mit Glücksspielen assoziierten Risiken und Suchtgefahren minimiert werden. Eine breite Anerkennung der Glücksspielsucht als psychische Erkrankung durch die Allgemeinbevölkerung, quasi auf Augenhöhe mit den etablierten Störungen im Zusammenhang mit Suchtmittelkonsum, wäre zweifelsohne eine weitere wichtige Errungenschaft. Schließlich besteht ein Kennzeichen meiner Forschungsarbeit in ihrer hohen Anwendungsorientierung: Der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis, etwa in Form von konkreten Handlungsempfehlungen in Sachen Prävention und Regulation, lässt sich ebenfalls als übergeordnete Zielvorgabe definieren.

  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Arbeit von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?

Die Welt kann ich selbstredend gar nicht retten, noch nicht einmal annähernd die „Welt des Glücksspiels“. Aber meine Forschungserkenntnisse liefern schon Impulse für eine effektive Suchtprävention. Auf der Makroebene ist es als Erfolg zu werten, wenn politische Entscheidungsträger*innen nicht nur die (ökonomisch motivierten) Argumente der Glücksspielbranche zur Kenntnis nehmen, sondern auch die empirischen Befunde der unabhängigen Wissenschaft. Auf der mittleren Ebene wäre ich beispielsweise bereits zufrieden, wenn Werder Bremen kritisch reflektieren würde, ob Werbung für Sportwetten und damit potenzielle Suchtmittel auf dem Trikot oder im Stadion wirklich eine gute Idee darstellt. Und auf der Mikroebene ist jede glücksspielsüchtige Person, die frühzeitig professionelle Hilfeangebote in Anspruch nimmt, ein Gewinn. Für die Betroffenen kann dieser Schritt unter Umständen sogar lebensrettend sein.

  • Verraten sie uns Ihr liebstes Arbeitsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?

Das ist im übertragenen Sinne mein Kopf. Was die eigentlichen Forschungsmethoden anbelangt, sind wir relativ breit aufgestellt. Selbige reichen von qualitativen Verfahren (z. B. Interviewstudien) über quantitative Vorgehensweisen (z. B. Fragebogenstudien) bis hin zu (quasi-)experimentellen Forschungsansätzen. Eine der wohl spannendsten Methoden bilden Testkäufe bzw. Testspiele, mit denen wir überprüfen, ob Maßnahmen des Jugend- und Spielerschutzes von den Glücksspielanbietern vor Ort tatsächlich auch umgesetzt werden.

  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremen? Und woher kamen Sie?

Ich bin in Bremen geboren und hier aufgewachsen. Nur im Zuge meines Studiums habe ich meine Heimatstadt in Richtung London verlassen. Die hohe Lebensqualität in Kombination mit meinen Wurzeln lassen erkennen, dass ich Bremen wohl so schnell nicht den Rücken kehren werde.

  • Was schätzen Sie am Land Bremen als Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?

Diese Frage kann ich global nicht beantworten. Für meinen Forschungsbereich kann ich ganz aktuell die tolle ressortübergreifende politische Unterstützung anführen, die folglich auch eine gewisse Wertschätzung meiner Arbeit widerspiegelt. Mein Doktorvater, Prof. Gerhard Meyer, hat vor über 40 Jahren den Forschungsgegenstand der Glücksspielsucht in Deutschland etabliert. Und jetzt obliegt es mir seit einer gewissen Zeit, dieses Erbe fortzuführen und mit neuen Akzenten zu versehen.

  • Fehlt Ihnen etwas?

Zu Pandemiezeiten fehlen sicherlich am meisten die Präsenzveranstaltungen und der persönliche, analoge Kontakt zu Kolleg*innen. Mittlerweile hat sich bei mir eine gewisse „Zoom-Müdigkeit“ eingestellt. Etwas breiter gedacht halte ich den Umgang mit dem wissenschaftlichen Mittelbau auf zahlreichen Ebenen für verbesserungswürdig. Mich stört im Wissenschaftsbereich zum Beispiel, dass Menschen oftmals im Hinblick auf ihren Status und nicht bezüglich Ihrer Leistung bewertet werden.

  • Die Wege in Bremen und Bremerhaven sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?

Da ich keinen Führerschein besitze, fahre ich fast immer mit dem Fahrrad. In Ausnahmefällen nutze ich den öffentlichen Nahverkehr.

  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?

Mir fällt hier als erstes ein Chamäleon ein: wandelbar und flexibel, manchmal aber auch ein wenig sonderbar und träge.

  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen/beruflichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?

Die größten Herausforderungen beziehen sich auf die Wissenschaftsstrukturen an sich und weniger auf meine alltägliche Arbeit. Zum einen bedeutet sowohl drittmittelfinanzierte Forschung als auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Regel eine zeitliche Befristung der Arbeitsverträge, was wiederum mit Planungsunsicherheit und besonderen Belastungen verbunden ist. Zum anderen gilt es, Berufs- und Privatleben in Einklang zu bringen. Dies war bislang für mich nicht immer einfach.

  • Welche stehen Ihnen noch bevor?

Mit zunehmendem Verantwortungsbereich und Gestaltungsspektrum steigt die Wahrscheinlichkeit, bei bestimmten Forschungsthemen nicht mehr in die Tiefe gehen zu können. Das behagt meiner perfektionistischen Ader nicht wirklich. Damit zusammen hängt auch die Fähigkeit, bestimmte Arbeitsaufträge zu delegieren bzw. nicht alle Anfragen anzunehmen. Auch diese Punkte gehören bislang sicherlich nicht zu meinen Stärken.

  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?

Ich glaube, dass es bei mir die eine Erfolgsformel gar nicht gibt. Vielleicht trifft es folgende Gleichung noch am besten: Hartnäckigkeit + Lösungsorientierung + situatives Glück = Erfolg.

  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?

Über diese Frage habe ich länger nachgedacht. Ein Ereignis, das ich als Scheitern oder großen Fehler bezeichnen würde, fällt mir im beruflichen Kontext nicht ein. Natürlich klappt im Alltag nicht alles wie gewünscht; wichtig ist vielmehr der Umgang mit Negativerlebnissen und der damit verbundene Lerneffekt für die Zukunft.

  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?

Richtig abschalten kann ich am besten im Urlaub; im Alltag gehe ich joggen. Wichtig für mich sind zudem meine Frau und meine Tochter, die mich regelmäßig "erden". Bei meiner Frau liegt es im Übrigen auf der Hand: Sie ist Psychologische Psychotherapeutin.

  • Der/Die nächste Nachwuchswissenschaftler/in zieht nach Bremen. Was würden Sie ihm/ihr raten, wo er/sie wohnen und abends weggehen soll?

Da fallen mir zahlreiche Optionen ein, je nach individueller Vorliebe. Zum Wohnen empfehle ich in erster Linie das Viertel und die Neustadt, aber auch Findorff und damit den Stadtteil, in dem ich selbst zu Hause bin. Und auch der Abend lässt sich in Bremen vielfältig gestalten: Eine breite Kneipen- und Restaurantszene, ein buntes Kunst- und Kulturprogramm oder tolle Orte in der Natur stellen nur drei Beispiele dar. Im Sommer fiele meine Wahl hier wohl auf Plätze in der Nähe der Weser oder auf den Bürgerpark. Außerdem freue ich mich immer auf die jährlich stattfindenden Festivals wie La Strada oder die Breminale.

  • Mit wem würden Sie ihn/sie hier in Bremen oder Bremerhaven bekannt machen wollen?

Im privaten Umfeld wäre in der Post-Corona-Ära der „Krabeldiwandenuff“ in der Viertel-Kneipe „Eisen“ eine gute Wahl. Dabei handelt es sich um einen bestenfalls bedingt genießbaren Kräuterschnaps, der aber traditionellen Kultstatus genießt.

  • Wenn Sie einen Tag lang Ihr Leben mit einer/m Bremer/in oder Bremerhavener/in tauschen könnten, wessen Leben würden Sie wählen?

Jan Böhmermann, und zwar aus einem einfachen Grund: Bereits zwei Mal hat der gebürtige Bremer ein Glücksspielthema im Rahmen seiner satirischen TV-Beiträge aufgegriffen. Die Aufmerksamkeit war jeweils immens und ist mit der Wirkung von Publikationen in Fachzeitschriften naturgemäß nicht vergleichbar.

Portrait von Dr. Tobias Hayer

Portrait Dr. Tobias Hayer

Portrait von Dr. Tobias Hayer vor seinem Büro an der Universität Bremen

© WFB/Jonas Ginter

Prof. Dr. Tobias Hayer

Geburtsjahr

1974

Fachbereich / Forschungsfeld

Glücksspielsucht

Aktuelle Position / Funktion

Wissenschaftlicher Mitarbeiter als Postdoc im Rahmen der Bremer Fachstelle Glücksspielsucht an der Universität Bremen

Aktuelle Tätigkeit / aktuelles Forschungsprojekt

Im Fokus meiner wissenschaftlichen Tätigkeit stehen derzeit u. a. drei Forschungsprojekte, die sich mit unterschiedlichen Risikogruppen beschäftigen: Glücksspielbezogene Probleme (1) im Alter, (2) bei Personen mit Migrationshintergrund und (3) bei Mitgliedern von Sportvereinen.

Familienstand

Verheiratet, eine Tochter (und zwei Katzen)

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