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Wissenschaft persönlich: Dr.-Ing. Herbert Juling

Dr.-Ing. Herbert Juling
Leiter der Forschungsabteilungen Baustoffmikroskopie und Metallographie am Institut für Werkstofftechnik (IWT)

© WFB/Ginter

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im Oktober 2017 stand uns Dr.-Ing. Herbert Juling Rede und Antwort. Der Physiker arbeitet am Institut für Werkstofftechnik (IWT). Der Nordrhein-Westfale erforscht die Mechanismen, die zur Verwitterung von Materialien führen, aus denen Kulturgüter und Denkmäler bestehen.

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftler/in geworden wären?
    Wahrscheinlich Zimmermann. Mich hat Holz als Werkstoff immer schon interessiert. Wenn ich nicht hätte studieren können, hätte ich mich für diese Handwerksrichtung entschieden.
  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?
    Ich bin ja in der Konservierungsforschung tätig, das heißt, ich erforsche die Mechanismen, die zur Verwitterung von Materialien führen, aus denen unsere Kulturgüter und Denkmäler bestehen. Dabei ist interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt zum Beispiel mit DenkmalpflegerInnen, RestauratorInnen und anderen Wissenschaftsdisziplinen. Im Moment arbeite ich mit den Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern der Bremer Hochschule für Künste an einem Projekt, was sich mit der Korrosion von Bleipfeifen in historischen Orgeln beschäftigt. Es ist immer wieder faszinierend, mit den Arbeitsweisen und Gedankengängen anderer Disziplinen konfrontiert zu werden. Das ist spannend und begeistert mich.
    Und dann durfte ich mal die Terrakotta-Armee in China untersuchen; das war mein absolutes Highlight.
  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besucherinnen und Besuchern erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?
    Ich kenne noch aus meiner Jugend Jahrmarktsorgeln, die elektrisch oder pneumatisch betrieben wurden. Ich würde heute nochmal eine Orgel nachbauen lassen, in die man hineinsteigen und sich das Innenleben und die Mechanismen anschauen kann. Diese Orgel müsste "unplugged" gespielt werden, ohne Strom, nur mit Muskelkraft, so wie es vor 300 Jahren üblich war.
  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?
    Ich trage mit meiner Arbeit einen kleinen Teil dazu bei, unsere Denkmäler und Kulturgüter zu erhalten. Es ist auch in einer modernen Gesellschaft wichtig, sich seiner Kultur bewusst zu bleiben. Und da haben wir einiges zu bieten. Nicht umsonst fühlen wir uns in einer Stadt mit vielen Baudenkmälern wohl. Was wäre Bremen ohne den Markplatz, die Böttcherstraße oder den Schnoor. Immerhin kommt durch jeden in den Denkmalschutz investierten Euro eine Summe von 20 Euro wieder herein: Über Tourismus, Arbeitsplätze und Anderes. Insofern hat das auch einen wirtschaftlichen Aspekt. Aber nicht nur die populären Denkmäler gehören zu unserem Kulturgut. Auch die kleine Dorfkirche, in der Eltern und Großeltern getauft wurden oder geheiratet haben, ist für die einzelne Person wichtig. Und wenn dann noch eine Orgel aus der damaligen Zeit erhalten geblieben und immer noch bespielbar ist, umso bedeutender.
  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Forschung von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?
    Im Zusammenhang mit Denkmalschutz und Kulturgütern von Fortschritt zu reden, mag ein Widerspruch sein. Aber in unsicheren Zeiten ist das Rückbesinnen auf die eigene Identität wichtig. So manchem Land auf dieser Erde würde man das wünschen. Auf europäischer Ebene sind wir da schon ziemlich weit gekommen, und das ist ein Fortschritt gegenüber vergangenen Zeiten. Die Welt werde ich nicht retten, aber vielleicht ein wenig dazu beitragen, dass es sich lohnt.
  • Verraten Sie uns Ihr liebstes Forschungsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?
    Ich bin Materialforscher und bediene mich modernsten Analysemethoden. Am liebsten ist mir dabei die Elektronstrahl-Analytik in allen verfügbaren Facetten. Wenn man eine Orgelpfeife aus dem 16. Jahrhundert oder ein Fragment der Terrakotta-Armee unter dem Rasterelektronenmikroskop untersuchen kann, ist das schon aufregend.
  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremen? Und woher kamen Sie?
    Ich komme aus Westfalen und habe in Münster Physik studiert. Seit 1984 bin ich in Bremen, zuerst beim damaligen Institut für Härtereitechnik (IHT) in Lesum, dem heutigen Institut für Werkstofftechnik (IWT) auf dem Uni-Campus, beschäftigt. 1989 konnte ich an der Amtlichen Materialprüfungsanstalt (ein Geschäftsbereich des IWT) ein eigenes Labor für Baustoffmikroskopie und Konservierungsforschung mit aufbauen. Heute bin ich an beiden Standorten tätig.
  • Was schätzen Sie am Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?
    Die viel zitierten kurzen Wege sind sehr hilfreich für die Wissenschaft in Bremen. Von meinen Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern erfahre ich immer wieder, wie zäh es manchmal dort zugeht. Ich arbeite sehr eng zum Beispiel mit der Landesdenkmalpflege oder der Kunst- und Musikhochschule zusammen, ohne dass es dort größere administrative Hürden gibt.
    Ansonsten hält mich natürlich das soziale Umfeld hier. Ich wohne die längste Zeit meines Lebens in Bremen, meine Kinder sind hier geboren und aufgewachsen und wir fühlen uns wohl hier.
  • Fehlt Ihnen etwas?
    Zeit und Geld für meine Forschung, das Übliche. Und vielleicht etwas mehr Sonnenschein und Wärme.
  • Die Wege in Bremen sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?
    Ich wohne in Bremen-Nord und bin auf das Auto als Fortbewegungsmittel zu meinen zwei Arbeitsstandorten angewiesen. Aber gelegentlich bei gutem Wetter (was in diesem Jahr leider zu wenig vorkam) fahre ich mit dem Fahrrad über den Waller Grüngürtel oder entlang der kleinen Wümme zur Arbeit. Trotz der Norddeutschen Berge – Gegenwind in jeder Richtung – ist das immer wieder wunderschön.
  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?
    Den Esel der Bremer Stadtmusikanten vielleicht. Es trägt eine hohe Last, ist aber eine wichtige und verlässliche Stütze und hat mit Fantasie und Ideenreichtum mit den anderen zusammen seine Probleme gelöst.
  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?
    Ich habe in Bremen promoviert. Als meine Tochter gerade ein Jahr alt war, begann für mich die Prüfungsphase. Beruf, Promotion und Familie unter einen Hut zu bekommen und allen gerecht zu werden, war eine große Herausforderung.
  • Welche stehen Ihnen noch bevor?
    Ich werde in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen und muss und will sicher stellen, dass meine Forschungsarbeit weiter geführt wird. Das wird die letzte große Herausforderung meines Arbeitslebens sein.
  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?
    Man darf nicht darauf warten, dass jemand kommt und einem die Zukunft mundgerecht zu Füßen legt. Ich kann nur jedem raten, seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen, eigene Ideen zu entwickeln. Wenn die gut sind, findet man auch UnterstützerInnen und GönnerInnen.
  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?
    Jedes Mal, wenn ein sorgfältig ausgearbeiteter Forschungsantrag abgelehnt wird, ist das eine kleine Niederlage. Am meisten schmerzt das, wenn die Gutachterinnen und Gutachter offensichtlich nicht aus fachlichen sondern aus (wissenschafts-)politischen Gesichtsgründen entscheiden. Im Laufe der Zeit lernt man, dem mit richtigen Formulierungen und Stichworten vorzubeugen.
  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?
    Mein Zuhause und meine Familie bieten mir die nötige Entspannung. Ich versuche, meine beruflichen Probleme und Anspannungen nicht mit nach Hause zu nehmen. Meine Familie steht dann an erster Stelle. Außerdem betreibe ich leidenschaftlich Familienforschung, das kann furchtbar spannend sein.
  • Der/Die nächste Nachwuchswissenschaftler/in zieht nach Bremen oder Bremerhaven. Was würden Sie ihm/ihr raten, wo er/sie wohnen und abends weggehen soll?
    Jüngeren Kolleginnen und Kollegen würde ich raten, nach Walle oder in die Neustadt zu ziehen. Beide Stadtteile haben sich sehr entwickelt. Zum Ausgehen ist natürlich das Viertel die erste Wahl.
    Ansonsten kann ich über Bremen-Nord als Wohnstandort nichts Schlechtes sagen, aus eigener mehr als 30-jähriger Erfahrung.
  • Mit wem würden Sie ihn/sie hier in Bremen oder Bremerhaven bekannt machen wollen?
    Mit dem Weserstadion. Die Stimmung dort ist unglaublich, das muss man mal erlebt haben.
  • Wenn Sie einen Tag lang Ihr Leben mit einem Bremer oder einer Bremerin tauschen könnten, wessen Leben würden Sie wählen?
    Mit dem bereits oben erwähnten Esel der Stadtmusikanten. Dort lernt man in kurzer Zeit viele Leute kennen, und ich würde denen zuflüstern, wie schön Bremen ist.
Dr. Herbert Juling

© WFB/Jonas Ginter

Steckbrief: Dr.-Ing. Herbert Juling

Geburtsjahr

1955

Fachbereich / Forschungsfeld

Materialforschung / Konservierungswissenschaften

Aktuelle Position / Funktion

Abteilungsleiter der Metallographie und Baustoffmikroskopie am IWT, Bremen

Aktuelle Tätigkeit / Aktuelles Forschungsprojekt

Entwicklung von Maßnahmen zur Verminderung von Bleikorrosion an Orgelpfeifen aus dem 17. und 18. Jahrhundert

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