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Wissenschaft persönlich: Prof. Dr. Anna Greve

Eine Frau vor einer Bilderwand im Museum
Prof. Dr. Anna Greve ist Direktorin des Focke-Museums, dem Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte.

© WFB/Ginter

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im Februar 2021 stand uns Prof. Dr. Anna Greve, Direktorin des Focke-Museums, dem Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Rede und Antwort. Neben Ihren Tätigkeiten als Direktorin widmet sie sich insbesondere zwei Bereichen in der Kunstwissenschaft und der Museumsforschung: der Kritischen Weißseinsforschung und dem Design Thinking in der praktischen Museumsarbeit.

Welche Erfolgsformel sie für sich gefunden hat, mit wem sie gern mal einen Tag tauschen würde und warum gerade ein Faultier sie an den Wissenschaftssstandort Bremen erinnert, erfahrt ihr hier im Interview!

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin geworden wären?

Als Kind wollte ich Piratin werden. Auch heute liebe ich Herausforderungen und das Meistern brenzliger Situationen. Entsprechend wäre ich auch gerne Juristin geworden.

  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?

Wenn ich auf einen neuen Gedanken komme, wenn etwas über die Zeit etabliertes neu in Bewegung kommt und wenn es gelingt, dass Menschen sich gegenseitig dazu bringen, aus einer für sie jeweils neuartigen Perspektive zu denken.

  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besuchern erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?

Dieser Stand wäre sehr bunt und hätte viele Materialien im Angebot. Man bekäme Lust, sie anzufassen. Es gäbe eine ästhetisch gut gestaltete Wand mit vielen Grundsatzfragen zum Leben der Menschen in Bremen. Sie wären so formuliert, dass die Passanten Spaß hätten, sie auf sich selber zu beziehen und miteinander darüber zu diskutieren. Es gäbe auch einen Computerterminal, an dem sie direkt ihre Meinung abgeben könnten und das würde sofort ausgewertet. So dass man sich in Beziehung zu allen anderen Nutzerinnen und Nutzern setzen könnte. Man könnte es ausdrucken und zu Hause weiterverarbeiten. Es würde an der einen Ecke nach Schmieröl riechen (für die Relevanz der Industrie in Bremen) und an der anderen Ecke nach Kaffee. Ein Stück Schokolade könnte man mitnehmen. Zu hören wären abwechselnd das Märchen der Bremer Stadtmusikanten und Musik der Bremer Philharmoniker.

  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?

Es geht darum, dafür zu sensibilisieren, dass wir als Individuen immer nur eine sehr begrenzte Weltsicht haben. Dass wir die Welt besser erfassen können, wenn wir uns dies bewusst machen und neugierig nach den Perspektiven anderer Menschen fragen. Im Rahmen der Kritischen Weißseinsforschung habe ich Methoden entwickelt, um über Stereotypenbildung, Vorurteile, Werte, Ängste und gesellschaftspolitische Hoffnungen ins Gespräch zu kommen. Das ist im Moment vor allem deshalb nützlich, weil sich eine Atmosphäre von "das darf man nicht sagen", "ich traue mich nicht, meine Meinung zu sagen", "ich bleibe lieber unter meinesgleichen" breit macht, die uns alle im Freisein beschneidet. Ich sage dies in Anlehnung an den berühmten Ausspruch von Hegel, dass das "Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist."

  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Arbeit von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?

Wenn man sich darüber wundert, wie manche Dinge früher gesehen/gemacht wurden, man sich das für das eigene Leben überhaupt nicht vorstellen kann, dann könnte es Fortschritt sein. Vielleicht aber auch nicht. Ich verstehe Fortschritt nicht als linearen Prozess. Wenn man nicht mehr Jahre lang hinter verschlossenen Türen an der Entwicklung einer neuen Dauerausstellung arbeitet und sie feierlich eröffnet, sondern in einem agilen Prozess Ideen im Team und im Austausch mit Bürger/innen entwickelt werden, dann hoffe ich, dass das Fortschritt ist. Zum zweiten Teil der Frage: Ich will die Welt nicht retten! Es reicht mir, wenn wir durch unsere Arbeit im Focke-Museum das Leben im Jetzt für einige unserer Mitmenschen spannender und gerechter machen können!

  • Verraten sie uns Ihr liebstes Arbeitsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?

Arbeitsinstrumente: Papier und Stift.
Forschungsmethode: Fragen stellen.

  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremen? Und woher kamen Sie?

Ich kam vor acht Jahren nach Bremen, um als Museumsreferentin beim Senator für Kultur zu arbeiten. Vorher hatte ich am Karlsruher Institut für Technologie im Bereich Forschung und Lehre gearbeitet.

  • Was schätzen Sie am Land Bremen als Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?

Hier sind Veränderungen schneller möglich als an anderen Orten. Der Austausch zwischen Kultureinrichtungen, Kulturverwaltung und Kulturpolitik ist produktiv. Mich hält meine aktuelle Aufgabe – das Landesmuseum fachlich neu aufzustellen und die damit verbundene große Baumaßnahme umzusetzen.

  • Fehlt Ihnen etwas?

Nein, ich bin ein rundum zufriedener und glücklicher Mensch!

  • Die Wege in Bremen und Bremerhaven sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?

Mit dem Auto. Meine Alltagsstrecken wären mit dem Rad oder dem ÖPNV nur in mehr als doppelt so langer Zeit zu bewältigen. Dann würde ich meinen Sohn gar nicht mehr sehen und der Hund würde in den Flur machen.

  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?

Mit einem Faultier. Auf den ersten Blick wirken die gemütlich und wenig beweglich. Wenn man sich tiefer mit ihm beschäftigt, lernt man, dass es z.B. irre lange tauchen kann – also verborgene Spezialkompetenzen hat!

  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen/beruflichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?

Über weiße Privilegien sprechen. Das war 2004 ein Thema, bei dem einem von der Mehrheitsgesellschaft große Abwehr entgegen schlug. Es hat Jahre, Jahrzehnte gedauert, bis ich eine Form fand und der gesellschaftliche Diskurs so weiterging, dass das nun ein schon fast selbstverständliches Thema ist, zumindest in Fachkreisen.

  • Welche stehen Ihnen noch bevor?

Unser Landesmuseum grundsätzlich offener, experimenteller zu denken. Einige werden auf dem Weg begeistert sein, andere nicht. Da wird es heißen, sich immer wieder zu hinterfragen, nachzubessern oder auch zu dem zu stehen, wovon wir als Team überzeugt sind!

  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?

Leistung = Arbeit ÷ Zeit.

  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?

Als ich mal "ganz unten" war und trotzdem weitergemacht habe, lernte ich, dass ich nur aus mir selbst heraus stabile Stärke generieren kann. Schopenhauer hat es auf den Punkt gebracht: "Was Einer an sich selber hat ist zu seinem Lebensglück das Wesentliche".

  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?

Mit Musik von Johann Sebastian Bach.

  • Der/Die nächste Nachwuchswissenschaftler/in zieht nach Bremen. Was würden Sie ihm/ihr raten, wo er/sie wohnen und abends weggehen soll?

Nach Osterholz und abends ins Osterholzer Tor.

  • Mit wem würden Sie ihn/sie hier in Bremen oder Bremerhaven bekannt machen wollen?

Mit Virginie Kamche, Gründerin des Afrika Netzwerkes Bremen. Sie hat neue Perspektiven und Netzwerke in der Bremer Kulturszene verankert. Ich bewundere ihr unermüdliches Engagement zur Sensibilisierung für das Thema strukturellen Rassismus.

  • Wenn Sie einen Tag lang Ihr Leben mit einer/m Bremer/in oder Bremerhavener/in tauschen könnten, wessen Leben würden Sie wählen?

Ich würde gerne einen Tag (aber nur einen!) von Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte durchleben. Es muss unglaublich aufregend sein, in so viele Bremer Themen gleichzeitig eingebunden zu sein.

Porträt einer Frau im Museum

© WFB/Ginter

Prof. Dr. Anna Greve

Geburtsjahr

1973


Fachbereich / Forschungsfeld

Kunst- und Museumswissenschaft


Aktuelle Position / Funktion

Direktorin des Focke-Museums. Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte


Aktuelle Tätigkeit / aktuelles Forschungsprojekt

Kritische Weißseinsforschung / Design Thinking in der praktischen Museumsarbeit


Familienstand

lebt in einer WG mit einem Sohn und einem Hund

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