© WFB / Jonas Ginter
Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen – und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.
Im September 2023 stand uns Doktorand Peter Steiglechner vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) Rede und Antwort. Die Forschungsfragen seiner Doktorarbeit im Forschungsfeld der Modellierung komplexer, sozialer Systeme geht er mit seinem Hintergrund in Mathe und Physik an. Was Peter Steiglechner an Bremen als Wissenschaftsstandort besonders toll findet und mit welcher Bremer Persönlichkeit er gerne einen Tag lang sein Leben tauschen würde, erfahrt ihr in diesem Interview:
Vermutlich Lehrer. Auch in der Wissenschaft habe ich am meisten Freude daran, Ideen, Denkweisen und meine Faszination dafür weiterzuvermitteln.
Begeistert bin ich vor allem, wenn die Wissenschaft es schafft, mit einfachen Mitteln ein komplexes Phänomen zu erklären. Das gilt gleichermaßen für die Sozial- und Naturwissenschaften. Aber vor allem natürlich für meinen verbindenden Wissenschaftsbereich, in dem wir mit einfachen Computermodellen versuchen, unsere soziale Welt besser zu verstehen. Zum Beispiel gibt es viele Modelle menschlichen Verhaltens, die völlig einfach sind, aber trotzdem ein komplexes Phänomen, wie zum Beispiel die Entstehung von sozialen Filterblasen, erzeugen können. Ich kann mich im Rahmen meiner Forschung an Fragen heranwagen, die mich privat eh beschäftigen – wie schön ist das denn?
Mit viel Platz, Kaffee und Kuchen um diskutierfreudige Menschen anzulocken. Mein Ziel wäre es, die Sichtweisen und Meinungen der Besucher:innen zu hören und über deren Wahrnehmung von sozialen Dynamiken in der Gesellschaft zu debattieren. Denn das ist schließlich der Gegenstand meiner Arbeit. Irgendwo würde wohl eine Tafel stehen und jemand hätte ein Netzwerk aufgemalt.
Wir versuchen, in sehr vereinfachten mathematischen Modellen soziale Systeme zu simulieren. Um zum Beispiel effektiv gegen den Klimawandel vorzugehen oder den richtigen Umgang in einer Pandemie zu finden, ist es wichtig zu verstehen, wie Polarisierung in einer Gesellschaft entstehen kann und wie stabil diese Dynamiken sind. Vor allem wollen wir besser verstehen, welche Faktoren solche Muster kollektiven Verhaltens begünstigen oder einschränken können.
Wissenszugewinn heißt in meinem Forschungsfeld, dass Modelle mit unterschiedlichen Schwerpunkten ähnliche Regelmäßigkeiten zeigen. Zum Beispiel zeigen viele theoretische Modelle, dass effektive Kommunikationsnetzwerke, also gesellschaftliche Strukturen, die die Verbreitung von Informationen stark beschleunigen, nicht unbedingt dazu führen, dass Konsens leichter oder schneller entsteht. Im Gegenteil, langsamere und ineffektivere Kommunikation, z.B. durch ein relativ geclustertes Netzwerk, kann hilfreich sein, um Polarisierung zu verhindern. Es zeigt sich auch häufig, dass schon kleine Änderungen in den Annahmen über menschliches Verhalten zu starken Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene führen können.
Die Sprache der Mathematik. Wir alle haben selbstverständlich eine Vorstellung (sprich ein Modell) davon, wie oder warum unsere Gesellschaft bei gewissen Themen polarisiert. Aber häufig bleiben solche Modelle vage. Mit dem gleichen vagen Modell kann man somit zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, beispielsweise darüber, welche Rolle soziale Identität und Generationenkonflikt in der Klimadebatte spielen. Mathe zwingt uns dazu konkret zu werden und Lücken in den Modellen zu füllen (was bedeutet soziale Identität genau? Oder wie wirkt sich der Generationenkonflikt genau auf die Interaktion zwischen einzelnen Menschen aus?). Mein Beitrag ist quasi die Übersetzung von den Sozialwissenschaften in die Mathematik und in den Computer und wieder zurück, was für viele komplexe, sozial-psychologische Prozesse nicht immer einfach ist.
Ich bin im Februar 2020 von Stockholm nach Bremen gezogen, um hier eine Masterarbeit und dann den PhD zu beginnen. Ursprünglich komme ich aber aus Bayern, nahe der österreichischen Grenze.
Mit dem zentralen Fokus auf marine Wissenschaften hat Bremen ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland, was ich als sehr bereichernd wahrnehme. Auch die Nähe zur Landespolitik ist ziemlich einzigartig und erzeugt spannende Schnittstellen. Die Stadt mag ich wegen ihrer Größe, den vielen Cafés, und insgesamt dem alternativen Flair.
Die Nähe zu den Bergen selbstverständlich, der Wald, die Biergartenkultur.
Mit dem Rad, wann immer es geht.
Wissenschaft ist für mich ein Elefant. Mit langem Gedächtnis, faszinierender Power, stetig und unverrückbar, gelegentlich frech und verspielt.
Die Herausforderungen interdisziplinärer Arbeit habe ich sicherlich unterschätzt. Eigentlich habe ich Physik und Mathe studiert und blicke natürlich mit diesem Hintergrund auf meine Forschungsfragen. Aber in den Sozialwissenschaften schreibt, denkt und entwickelt man anders als in den Naturwissenschaften. Diese Bereiche beide zu beherrschen und zu bedienen und dabei von beiden Seiten zu lernen, bleibt eine große Aufgabe für mich.
Der Abschluss der Doktorarbeit.
Regelmäßig an einem Tag in der Arbeitswoche die Routine zu durchbrechen. Manchmal arbeite ich vormittags ehrenamtlich, mal starte ich den Tag mit einer Fahrradtour, mal lasse ich den Laptop daheim und sitze im Park oder in einem Café, um den ganzen Tag wissenschaftliche Veröffentlichungen zu lesen.
Ein Scheitern war das sicher nicht, aber eine lehrreiche Erfahrung: Nachdem ich ein Jahr in der Klimamodellierung gearbeitet habe, ist mir klar geworden, dass ich mich mehr für die Überwindung der Klimakrise aus gesellschaftlicher Sicht interessiere als für die Frage, welcher Prozess mit welchem Anteil zu der globalen Erwärmung beiträgt. Hier hat sich die Zielrichtung meiner Forschungsarbeit gedreht.
Meistens geht das recht schnell, sobald ich daheim meine Mitbewohner:innen treffe. Im Zweifel ein intensives Brettspiel. Aber auch gelegentlich ein frisch gezapftes Kühlgetränk in der Sonne.
Ich lebe in der Neustadt und liebe das Flüsseviertel. Aber Ecken in Peterswerder oder Fesenfeld finde ich auch traumhaft. Erste Anlaufstelle wäre auf jeden Fall ein sommerlicher Wochenendabend am Eck im Viertel oder am Osterdeich. Ich mag das Gewusel und finde diese Orte irgendwie charakteristisch für Bremen.
Mit der Bremer Gluckhenne.
Claudio Pizarro. Es muss toll sein, auf eine so erfolgreiche Karriere zurückblicken zu können und langsam in den Genussmodus zu wechseln. Na gut, vielleicht auch wirklich nur für einen Tag. Außerdem bin ich Bayern- und Werder-Fan.
© WFB / Jonas Ginter
Geburtsjahr
1994
Fachbereich / Forschungsfeld
Modellierung komplexer, sozialer Systeme
Aktuelle Position/ Funktion
Doktorand
Aktuelle Tätigkeit
Wie entsteht Polarisierung in der Gesellschaft?
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