Wissenschaft persönlich: Prof. Dr. Karen Struve

Eine Frau steht vor einem großen Bücherregal und blättert durch ein Buch, welches Sie in ihren Händen hält
Prof. Dr. Karen Struve ist Professorin für Frankoromanistik an der Universität Bremen. In ihrem Forschungsfeld französische und frankophone Literatur- und Kulturwissenschaften beschäftigt sie sich unter anderem mit postkolonialen Literatur- und Kulturtheorien sowie mit den Narrativen der Angst und der weltweiten Anxiety Culture.

© WFB/Jan Rathke

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im Dezember stand uns Prof. Dr. Karen Struve Rede und Antwort: Sie ist Professorin für Frankoromanistik an der Universität Bremen im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften. Was Karen Struve an ihrer Arbeit besonders begeistert und welche Bedeutung ihre Arbeit für die Gesellschaft hat, verätt sie hier bei „Wissenschaft persönlich":

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin bzw. Wissenschaftskommunikatorin geworden wären?

Ich wäre vielleicht in die deutsch-französische Kulturarbeit oder Medienlandschaft gegangen. Die Vermittlung zwischen Deutschland und Frankreich hat mich als Schülerin sehr fasziniert, da hatte ich noch keine Vorstellung davon, dass die Universität auch eine Arbeitgeberin sein kann.

  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?

Mich begeistern immer die Momente, in denen ich im Austausch mit Menschen bin, wenn blitzende Gedanken und kluge Lektüren entstehen. Sei es im Seminar im Gespräch mit Studierenden über die Kraft von Literatur (Filmen, Serien oder Comics), sei es auf Fachtagungen bei Diskussionen mit internationalen Kolleg:innen, sei es bei Lesungen oder Podiumsgesprächen mit Autor:innen, Verleger:innen oder Übersetzer:innen, sei es am Schreibtisch bei der stillen Lektüre von Forschungsbeiträgen und Literaturen.

  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besucher:innen erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?

Ich erfinde den Literaturstand mit Losverkauf und freien Eintritt in die Achterbahn gegenüber. Zunächst dürften Menschen Lose kaufen (jedes Los gewinnt) und überraschende Lektüren gewinnen, die sie in die Welt der (nicht nur) französischsprachigen Literaturen entführen. Denn hier sind die Experimentierfelder für die großen Fragen der Menschheit, die kleinen Sorgen und großen Nöte und die ungeheure Kraft von Erzählungen und poetischer Sprache. Ich selbst beschäftige mich u.a. mit Narrationen der Angst; ein Thema, das aktueller nicht sein könnte.

  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?

Als Frankoromanistin versuche ich den Blick von Bremen aus in die gesamte französischsprachige Welt zu weiten und durch die Lektüren von historischen Texten wie Gegenwartsliteraturen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir alle miteinander verbunden sind. Durch Erzählungen und Imaginationen, durch gewaltvolle Geschichte(n) und die Herausforderungen jeder Zeit.

  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Arbeit von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?

Als Literaturwissenschaftlerin kann ich sicherlich nicht die Welt retten, aber Menschen über Jahrhunderte und Kulturräume hinweg ins Gespräch bringen: Wenn es gelingt, durch die Vermittlung von Literatur von ungehörten (und unerhörten) Geschichten, von anderen Perspektiven auf die Welt, der Macht der poetischen Sprache und dem Faszinosum von Theater und Film Reden zu machen, dann wird die Welt vielleicht ein wenig komplexer, überraschender, reicher und schwieriger, lebenswerter. Fortschritt ist immer ein theoretischer Erkenntnisschritt, eine weitere Dimension in einem Text, eine Neu- oder Wiederentdeckung von Literaturen, Filmen oder Comics, in denen die Widersprüche unserer Zeit verhandelt werden.

  • Verraten Sie uns Ihr liebstes Arbeitsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?

Mein liebstes Arbeitsinstrument ist die klare Sicht auf die literarischen Texte (Filme, Serien, Comics) selbst; am liebsten gehe ich ihnen narratologisch auf den Grund und schließe mit poststrukturalistischem Blick ihre Komplexität neu auf.

  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremen? Und woher kamen Sie?

Ich bin Ende der 1990er Jahre nach meinem Abitur in Kiel nach Bremen gekommen, um hier Kulturwissenschaften und Romanistik zu studieren. Für Kieler Verhältnisse bin ich also fast nach Süddeutschland gezogen. Dabei war Bremen anfangs nur Plan B: Eigentlich wollte ich nach einem Auslandsaufenthalt in der französischen Schweiz Kulturwissenschaften in Lüneburg studieren. Dann aber kam alles anders, und ich kam zum Studium, zur Promotion und Habilitation nach Bremen. Nach weiteren Stationen in Frankreich und anderen deutschen Städten bin ich glücklicherweise wieder in Bremen gelandet. Aus Liebe und Überzeugung.

  • Was schätzen Sie am Land Bremen als Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?

Ich schätze die Weltoffenheit und die Nähe. Ein wichtiger Grundstein für meine konkrete Arbeit ist die Verknüpfungen der Universität mit der Stadtgesellschaft: Ich finde es herausragend, wie sich in Bremen das literarische Feld und die Universität wechselseitig durchdringen und die hiesigen Literaturakteur:innen und Medien, Politik und Hochschulen, das Institut Français und die vielen deutsch-französischen Akteur:innen nur einen Steinwurf voneinander entfernt sind. Und es ist auch für die Wissenschaft ein großer Gewinn, wie Bremen mit dem UNESCO-City of Literature-Titel mit offenen Armen im internationalen Netzwerk aufgenommen wird.

  • Fehlt Ihnen etwas?

Ganz offensichtlich und auch für die meisten meiner Kolleg:innen relevant: Es fehlt an finanzieller Ausstattung. Agilität darf Unterfinanzierung nicht auf Dauer ersetzen. Und mir fehlt eine französische Partnerstadt oder -region, die Bremen systematisch und nachhaltig mit Frankreich verknüpft.

  • Die Wege in Bremen und Bremerhaven sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?

Immerzu mit dem Fahrrad. Bei Wind und Schietwetter.

  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?

Wenn Sie mich als Jules Verne-Leserin fragen: mit einem Krake. Ausgesprochen beweglich und lernwillig, faszinierend und flexibel, viele Arme mit vielen Gehirnen.

  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen/beruflichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?

Die größten Herausforderungen waren eigentlich immer die prekären Gelenkstellen auf der wissenschaftlichen Laufbahn. Zwischen der Promotion und einer Anstellung als Postdoktorandin war ich alles andere als sicher, ob die universitäre, unsichere Laufbahn eine Option sein kann oder soll.

  • Welche stehen Ihnen noch bevor?

Welche genau es sind, kann und will ich nicht vorhersehen; aber dass welche kommen, darauf bin ich gefasst.

  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?

Eigentlich nicht. Aber wenn ich eine aufstellen sollte: unbändige Neugier x offenes Zuhören x kollaborativer Gestaltungswille x innovative Ideen/Pragmatismus = guter Weg durch und in die Wissenschaft

  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?

Ich kann kein persönliches Waterloo benennen, aber jede Absage und Ablehnung von Forschungsprojekten, jede Rückmeldung habe ich zur Nachjustierung und Vertiefung genutzt. Und zu mutigen Gesprächen mit Kritiker:innen, die ich für das eigene Lernen und Wachsen nutzen konnte.

  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?

Spazieren gehen an der Weser, Kopf freipusten auf dem Weserwehr. Und einfach still am Meer sitzen.

  • Die nächsten Nachwuchswissenschaftler:innen ziehen nach Bremen. Was würden Sie ihnen raten, wo man wohnen und abends weggehen soll?

Bienvenue à Brême! Ich würde vermutlich zu einer Wohnung in der Neustadt oder in Walle raten, weil die Stadtteile spannende Subkultur und nette Kneipen zu bieten haben, die Wege ins Zentrum kurz sind.

  • Mit wem würden Sie diese Wissenschaftler:innen hier in Bremen oder Bremerhaven bekannt machen wollen?

Mit dem formidablen Team des Institut Français, mit der regen Deutsch-Französischen Gesellschaft in Bremen oder der Communauté francophone, mit den vielen beeindruckenden Akteur:innen des Bremer Literaturbetriebs – insbesondere mit dem quirligen Team der globale°, aber auch so vielen Menschen in Buchhandlungen, Bibliotheken, Lesezirkeln oder Schreibwerkstätten – und mit meiner Lieblingskünstlerin aus Bremen.

  • Wenn Sie einen Tag lang Ihr Leben mit einer Bremer oder Bremerhavener Persönlichkeit tauschen könnten, wessen Leben würden Sie wählen?

Ich würde gerne mal einen Tag mit Julia Bulk, der Direktorin des Wilhelm Wagenfeld-Hauses, tauschen und ihr bei der Konzeption einer neuen Grafik-/Comicausstellung über die Schulter schauen.

Eine Frau steht lachend vor einer Hecke in herbstlichen Farben

© WFB/Jan Rathke

Fachbereich / Forschungsfeld

Sprach- und Literaturwissenschaften/ Französische und frankophone Literatur- und Kulturwissenschaft

Aktuelle Position / Funktion

Professorin für Frankoromanistik

Aktuelle Tätigkeit / aktuelles Forschungsprojekt

Postkoloniale Literatur- und Kulturtheorien; Narrative der Angst/Weltweite Anxiety Culture; Frankophone Literaturen in Québec, französischsprachige Comics und Graphic Novels

Das könnte euch auch interessieren

An der Universität Bremen macht das Studieren richtig Spaß!

Universität Bremen

© WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH/T. Vankann

Ein transparenter Röhrengang in dem man die Silhouette einer Person sieht bei untergehender Sonne.

Wissenschaft erleben

© WFB / Jens Lehmkühler

Ein Mann stellt eine Schüssel vor einen Roboter, der eine Milch-Tetrabox in der Hand hält.

Forschungseinrichtungen im Land Bremen

© Universität Bremen / Patrick Pollmeier

Gezeichnete Skyline von Bremens prominentenen Gebäuden