© WFB/Jan Rathke
Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen – und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.
Im ersten Monat des neuen Jahres 2024 stand uns Prof. Dr. Isabel Wünsche, Professorin für Kunst und Kunstgeschichte an der Constructor University in Bremen, Rede und Antwort. Als eine der letzten Austauschstudierenden der DDR ging sie 1990/1991 an die Moskauer Staatliche Universität. Anschließend studierte, arbeitete und lebte sie in Los Angeles. Seit 2001 ist Prof. Dr. Isabel Wünsche an der heutigen Constructor University in Bremen tätig.
Welchen beruflichen Herausforderungen sich Prof. Dr. Wünsche noch gestellt hat und warum sie die Bremer Wissenschaftsszene mit einem Sumpfgrashüpfer vergleichen würde, erfahrt ihr in diesem Interview:
Nach Musikklasse, Qualifikation für die Sportschule, Abitur an einer Spezialschule mathematisch-physikalischer Richtung hatte ich das Gefühl, alles machen zu können und habe mich für die Geisteswissenschaften (Kunstwissenschaft) entschieden, die im System der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschulen der DDR zu kurz gekommen waren. Hauptziel eines solchen Studiums war aber weniger Karriere, sondern (geistige) Unabhängigkeit. Jedenfalls war es mein Ziel mit 18, mein Leben so intensiv wie möglich zu leben, um mit 50 eine interessante Frau zu sein.
Am meisten begeistert es mich, tief in andere Zeiten und Lebensumstände einzutauchen und die grundlegenden gesellschaftlichen Ideen und geistesgeschichtlichen Denkhorizonte, die in Kunst und Kultur reflektiert wurden, nachzuvollziehen und so ein Gefühl für die Denk- und Handlungsspielräume vergangener Epochen zu entwickeln. Das Wissen um historische Zusammenhänge ist auch ausgesprochen nützlich, um nicht zu sagen grundlegend, um die Gegenwart zu verstehen und zu gestalten.
Der Stand wäre kein gewöhnlicher Verkaufsstand, sondern ein begehbarer Black Cube mit einer Video-Installation, die die Besucher mit kontroversen Präsentationen von Kunst in den 1920er, 1930er, 1960er und 1980er Jahren konfrontiert.
Ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, die Kunst ist ein Experimentierfeld für kreative Köpfe. Im besten Fall bietet sie Freiraum und die Möglichkeit, mit unorthodoxen Methoden gesellschaftliche Probleme zu reflektieren und gesellschaftliche Umbrüche aktiv mitzugestalten. Ein grundlegendes Verständnis von historischen Zusammenhängen als Grundlage jedweder Gesellschaftsanalyse und auch von Politik, könnte helfen, von der Kurzatmigkeit finanziell determinierter gesellschaftlicher Entscheidungen weg und zu nachhaltigeren Lösungsansätzen zu gelangen.
Indem ich die Generation der Digital Natives mit den Artefakten vergangener Epochen in der analogen Welt (z.B. in den Bremer Museen) und ihren Kontexten vertraut mache. Wenn sie im Ansatz begreifen, dass es für die Probleme der Gegenwart und Zukunft weniger Manager und mehr engagierte kreative Köpfe braucht, die über den Tellerrand schauen und ein bisschen mehr über die Welt wissen als auf die Schnelle mit Google Search in Erfahrung zu bringen ist, ist schon viel gewonnen. Das Verblüffende und Schöne dabei: Diese Generation ist total begeistert und dankbar für die Möglichkeit, Erfahrungen in der analogen Welt machen zu können.
Neben dem Laptop, der unentbehrlich geworden ist, nutze ich in der Lehre gern Erwin Panofskys Drei-Stufen-Modell der Ikonologie, d.h. eine Methode, mit der man lernt, genau hinzuschauen, bevor man seine Schlüsse zieht: 1) was genau sehe ich (Beschreibung), 2) welche Bedeutung hat das, was ich sehe (Analyse) und 3) was sagt es über die Entstehungszeit, den Ort, den Künstler, die Umstände, etc. aus (Kontextualisierung).
Ich kam im August 2001 aus Pasadena, einem Vorort von Los Angeles, nach Bremen. Dort habe ich am California Institute of Technology (Caltech) gelehrt, und zusammen mit anderen Deutschen haben wir manchmal überlegt, warum es so eine Universität wie das Caltech nicht in Deutschland gibt bzw. wenn es sie geben würde, wo diese angesiedelt sein würde. Die Gründung der International University Bremen (IUB) versprach im Ansatz genau dem Versuch, eine solche herausragende Institution in Deutschland zu etablieren – das war 2001 unser Anspruch und Ziel.
Bremen ist als Wissenschaftsstandort überschaubar, was sowohl Vorteile als auch Nachteile hat. Für ihre Größe verfügt die Stadt über ein herausragendes und vielfältiges Kunst- und Kulturleben.
Für herausragende Forschung und Lehre in den Geisteswissenschaften fehlt leider sowohl eine entsprechende Infrastruktur (z.B. Bibliotheksbestände) als auch die Wertschätzung und ein entsprechendes Klima.
Zu Fuß bzw. mit der Nordwestbahn zwischen Innenstadt und Bremen-Nord
Den Sumpfgrashüpfer (Chorthippus montanus), denn man muss ausgesprochen feuchtigkeitsliebend sein und viel herumhüpfen, um hier zu agieren.
Aufgrund der historischen Umstände gab es mehrere bemerkenswerte:
Im Oktober 1990 bin ich als eine der letzten Austauschstudent:innen der Humboldt-Universität zu Berlin für ein Jahr an die Moskauer Staatsuniversität gegangen, aber da es die DDR zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gab und sich die Sowjetunion ebenfalls im Umbruch befand, war das ein ziemlich abenteuerliches Unternehmen (vgl. https://krach.dekoder.org/wuensche).
Im Einigungsvertrag war festgelegt worden, dass ich mein Studium der Kunstwissenschaft 1992 mit einem Diplom abschließe. Zugleich war jedoch davon auszugehen, dass alles, was es nicht bereits in den alten Bundesländern gab, keine Berechtigung hätte – also habe ich an die Kunsthistorischen Institute sämtlicher westdeutscher Universitäten geschrieben und gefragt, ob ich mit meinem Diplom bei ihnen promovieren kann, was mir aber niemand sagen konnte, obwohl mir alle ihre Studienordnung zurückgeschickt haben. Ich bekam aber Einladungen nach Bochum, Heidelberg und Saarbrücken und bin am Ende, nachdem ich mehr als 60 Stipendienbewerbungen geschrieben hatte, mit einem dreijährigen Daimler-Benz-Promotionsstipendium nach Los Angeles gegangen und habe meine Karriere in Kalifornien begonnen – das Beste, was mir passieren konnte.
Ich habe meine Dissertation auf der Basis eines Koffers gefüllt mit handkopierten russischen Originalmaterialen in Los Angeles geschrieben, aber für eine Promotion an der Universität Heidelberg durfte ich diese nur entweder auf Deutsch oder auf Latein schreiben.
Alle diese Herausforderungen haben mich sehr fit fürs Leben gemacht!
Keine Ahnung, schaun‘ wir mal…
Augen und Ohren offenhalten und die Chancen, die sich einem bieten, ergreifen!
Ich habe jeder Herausforderung immer als Chance begriffen.
Beim Wandern in den Bergen
Das hängt natürlich vom Typ und den Interessen ab, aber angenehm und trotzdem zentral, weniger etabliert und interessant sind in der Innenstadt in meinen Augen Findorff und die Neustadt. In Bremen-Nord ist es ruhiger, da haben aus meiner Sicht Lesum und Vegesack das meiste Potential.
Je nach Interessenlage entweder mit Dorothee Hansen von der Kunsthalle oder Wiebke Ahrndt vom Übersee-Museum.
Ich würde gern für einen Tag in die Stiefel von Objektmanager Norbert Hermes schlüpfen, um den Bremer Fernmeldeturm und die Stadt von oben zu erkunden.
© WFB/Jan Rathke
Geburtsjahr
1965
Fachbereich / Forschungsfeld
Kunstgeschichte
Aktuelle Position / Funktion
Professor of Art and Art History
Aktuelle Tätigkeit / aktuelles Forschungsprojekt
Decolonizing the Avant-Garde https://d-ag.weebly.com
Familienstand
verheiratet, ein Sohn
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