Wissenschaft persönlich: Prof. Dr. Antonia Kesel

Eine Frau steht in einem blauen Blazer in der Mitte von Geräten.
Prof. Dr. Antonia Kesel ist Leiterin des Bionik-Innovations-Centrums und Studiengangsleiterin des Masters und Bachelors Bionik an der Hochschule Bremen. Sie forscht an Bionischer Übertragung von Befunden aus der Biologie in zukunftsorientierte Technik, zum Beispiel durch bio-inspirierte Funktionsoberflächen zur Energiereduktion bei Transportsystemen und optimiertem Wärmetransport an Oberflächen.

© WFB / Jonas Ginter

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im November 2023 stand uns Prof. Dr. Antonia Kesel, Leiterin des Bionik-Innovations-Centrums der Hochschule Bremen, Rede und Antwort. Zudem ist sie als Studiengangsleiterin der Studiengänge Bionik (B.Sc. & M.Sc.) an der Hochschule Bremen tätig. Was Antonia Kesel an ihrem Job begeistert und was sie Nachwuchswissenschaftler:innen in Bremen auf den Weg geben würde, erfahrt ihr in diesem Interview:

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin geworden wären?

Es war bereits als Kind für mich sehr klar, dass ich Wissenschaftlerin bzw. Biologin werden wollte. Hätte das nicht geklappt, dann wäre die Notlösung wohl Kriminalistin oder Journalistin gewesen, irgendetwas, wo es gilt, die „Wahrheit“ aufzuspüren.

  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?

Der Job ist ja sehr vielfältig und bietet daher auch reichlich Gelegenheit zur Begeisterung. Etwa wenn es gelingt, Menschen ob der vielfältigen tollen „biologischen Lösungsansätze“ für „technische Fragestellungen und Probleme“ zu begeistern, insbesondere bei Studierenden zu sehen, wie der „Funke zündet“. Im Forschungsbereich sicherlich immer dann, wenn das Verständnis für das biologische Vorbild so vertieft werden kann, dass die Übertragung in die Technik gelingen kann – und es dann auch tut!

  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besucher:innen erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?

Pflanzen und Tiere (also zumindest im Modell) – viel nach biologischem Vorbild verbesserte Technik.

  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?

Die Bionik ist eine hochgradig interdisziplinäre Disziplin zwischen Natur und Technik. Die in einem ca. 3,5 Milliarden Jahren andauernden Entwicklungsprozess der belebten Natur entstandenen „Lösungsvorschläge“ für vielfältige Herausforderungen versuchen wir in zukunftsorientierte Produkte und Prozesse zu überführen. Die Arbeitsfelder sind hierbei sehr weit gespannt, von neuem intelligenten oder selbstheilenden Werkstoff mit vollständiger Rezyklierfähigkeit über ultraleichte Strukturen und Konstruktionen bei minimalstem Ressourcenaufwand bis hin zu energieminimierten Transportsystemen und -vorgängen. Das Credo der Natur und der Bionik ist hierbei „so wenig wie möglich und so viel wie nötig“. Nachhaltigkeit, Ressourceneffizient, Rezyklierfähigkeit lautet quasi der bionische Dreiklang, der in allen Bereichen zukunftsfähiger Technologien und insbesondere im Umfeld der „Biologisierung der Technik“ unverkennbar mitschwingt. Damit zahlt die Bionik ganz unmittelbar auf die Herausforderungen unserer Zeit ein.

  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Arbeit von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?

Immer dann, wenn es gelingt, das Potential der Bionik (nachhaltigere Produktions- und Planungs-Konzepte, ressourceneffizientere Produkte und Prozesse, voll rezyklierbare Werkstoffe, geschlossene Werkstoffketten etc. etc.) in die technische Anwendung zu bringen. Wir werden die Welt nicht alleine retten können, aber die „Biologisierung der Technik“ wird dabei helfen.

  • Verraten Sie uns Ihr liebstes Arbeitsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?

Instrument: Statistik, die Antworten der Biologie (multifunktionale Problemlösungen, über Jahrmillionen entwickelt!) sind so unglaublich „verrauscht“. Ohne Datenstrukturierung und -analyse geht da wenig, wenn die Anwendung in die Technik gelingen soll.
Methode: Diskussion mit interdisziplinären Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen. Bionik ist ein Teamsport!

  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremen? Und woher kamen Sie?

Vor 2 Jahrzehnten hatte ich hier die großartige Gelegenheit wie das Privileg, den damals völlig einzigartigen Studiengang Bionik an der HS Bremen etablieren zu dürfen. Dafür zieht es einen aus dem Süden dann durchaus in den Norden.

  • Was schätzen Sie am Land Bremen als Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?

Antworten wir hier nicht alle „kurze Wege“? Das ist hier wirklich unique.
Was mich hier hält? Na, die Bionik, spannende Themen, großartige Studierende, hinreißende Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen, tolle Hochschule (okay, etwas unterfinanziert), schöne Stadt, attraktive Restaurants und Kneipen, anspruchsvolle Kulturszene, viel Grün mitten in der Stadt und natürlich die Weser.

  • Fehlt Ihnen etwas?

Es wäre unglaubwürdig an dieser Stelle nicht anzumerken, dass die Ressourcen (bekanntermaßen) etwas reduziert daherkommen. Nun, aber auch das trainiert ja die Kreativität.

  • Die Wege in Bremen und Bremerhaven sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?

Mit allem, was gerade zu haben ist: Auto, Fahrrad, Bus, Bahn, zu Fuß und wenn es mal wirklich eng wird: Taxi!

  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?

Weniger ein einzelnes Tier als eher einen Hyperorganismus wie etwa ein Ameisenstaat. Im kollektiven Zusammenwirken ergibt sich ein unerschütterliches Gemeinwesen.

  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen/beruflichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?

Die Erkenntnis, dass Wissenschaft an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften ein völlig anderes Imprinting braucht als an einer Universität.

  • Welche stehen Ihnen noch bevor?

Der morgendliche Blick in die Newsfeeds zeigt ja seit geraumer Zeit, dass wissenschaftliche/berufliche Herausforderungen sehr schnell von gesamtgesellschaftlichen überlagert werden können. Die Herausforderung unserer Zeit ist sicherlich Optimismus und Zuversicht zu wahren.

  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?

Nie nach unten orientieren.

  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?

Ich hatte (bis dato) noch nie das Gefühl, gescheitert zu sein. Manchmal funktioniert etwas nicht oder zumindest nicht schnell genug. Das trainiert dann den „Geduldsfaden“, der heute belastbarer ist als früher.

  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?

Ich lese gerne, meistens Science Fiction. Gute Zukunftsgeschichten helfen, den Blick nach vorne zu richten und neugierig zu bleiben, auf das was da kommt.

  • Die nächsten Nachwuchswissenschaftler:innen ziehen nach Bremen. Was würden Sie ihnen raten, wo man wohnen und abends weggehen soll?

Der Spontanreflex ist hier sicher: das Viertel, aber auch die Neustadt kann da was.

  • Mit wem würden Sie diese Wissenschaftler:innen hier in Bremen oder Bremerhaven bekannt machen wollen?

Mit einer Person, die komplementär zum eigenen Forschungsgebiet unterwegs ist. Inhaltliche Spannungsfelder haben oft großes Potenzial für neue, bis dato übersehene Ansätze.

  • Wenn Sie einen Tag lang Ihr Leben mit einer Bremer oder Bremerhavener Persönlichkeit tauschen könnten, wessen Leben würden Sie wählen?

Tauschen? Auf gar keinen Fall!

Eine Frau lächelt vor einem verschwommenen Fenster in die Kamera.

© WFB / Jonas Ginter

Geburtsjahr

1962

Fachbereich / Forschungsfeld

Bionik

Aktuelle Position / Funktion

Leiterin des Bionik-Innovations-Centrums der Hochschule Bremen, Studiengangsleiterin der Studiengänge Bionik (BA & MA) an der Hochschule Bremen

Aktuelle Tätigkeit / aktuelles Forschungsprojekt

Bionische Übertragung von Befunden aus der Biologie in zukunftsorientierte Technik, z.B. durch bio-inspirierte Funktionsoberflächen zur Energiereduktion bei Transportsystemen (u.a. Schiffe, Flugzeuge ebenso wie Rohr- und Schlauchsystem) und optimiertem Wärmetransport an Oberflächen.

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