Wissenschaft persönlich: Prof. Dr. Antje Boetius

Prof. Dr. Antje Boetius AWI Bremerhaven
Als „Hochschullehrerin des Jahres" ausgezeichnet: Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, erhielt bei der „Gala der Deutschen Wissenschaft" den Preis. Im März stand sie uns Rede und Antwort. Sie leitete im Sommer eine Expedition rund um den Nordpol und wird dort mit ihrem Team untersuchen, welche Konsequenzen der zunehmende Rückgang des Meereises für das Leben im und unter dem Eis hat.

© WFB/Jonas Ginter

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im März stand uns Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, Rede und Antwort. Das AWI erforscht die Arktis, Antarktis sowie die Küsten und Meere gemäßigter Breiten, von der Atmosphäre bis zur Tiefsee.

Wie ein Stand auf dem Freimarkt aussehen könnte, der die Arbeit des AWI darstellt und womit sie einen Teil zur "Weltrettung" beiträgt, erfahrt ihr hier im Interview:

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin geworden wären?

Das ist für mich schon immer ein echter Wunschberuf, ich habe mir ehrlich gesagt nie Gedanken um Alternativen gemacht.

  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?

Mit dem Forschungsschiff aus dem Hafen auslaufen auf Expedition und mit dem U-Boot in die Tiefsee abzutauchen und unbekannte Lebensräume zu entdecken, gehören zu den schönsten Momenten in meiner Forschung. Aber auch immer wieder wenn Doktorand:innen abschliessen, ihre Arbeit von drei oder mehr Jahren mit einem Vortrag zusammenfassen und die Familien zu Gast sind, das berührt mich immer sehr.

  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besucher:innen erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?

Der Stand wäre ein großer Eisberg, das einzige kühle Fleckchen auf dem überhitzten Freimarkt. Seine Rinnsale würden Trinkbecken speisen für kostenfreies Wasser, an einem Ende würden wir Eiswürfel klopfen für kalte Drinks. An einem anderen Ende stünden kleine Pinguin-Puppen im Eisregal, zu verlosen für Kinder. Allen Menschen, die herbei geströmt kämen, um sich abzukühlen, das Wasser zu trinken, oder die Drinks, um mit ihren Kindern einen Pinguine zu gewinnen, würden meine AWI-Kollegen und ich umsonst Fragen beantworten, zur Schönheit der eisigen Landschaften, und ihrem besonderen Leben, über den Meeresspiegelanstieg und unsere einzige Chance, das alles zu bewahren, in dem wir viel schneller regenerative Energien ausbauen als Ersatz für die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.

  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?

Meine Forschung zum Ozean und den Polarregionen ist Grundlagenforschung und als diese trägt sie zur Entwicklung des Wissens der Menschheit bei. Durch den schnellen Wandel sind die Forschungsergebnisse auch wichtig als Frühwarnzeichen, für die Risikoabschätzung, und als Referenz für die Funktionen und Zusammensetzung der Natur bei schon 1.2° durchschnittlicher Erderwärmung. Der Nutzen der Arbeit liegt im Erkenntnisgewinn zur Frage, welche Rolle der Ozean und die Polarregionen für unser Leben spielen sowie auch zur Frage, was überhaupt auf der Erde lebt und wie wir das Netzwerk des Lebens schützen können. Die meisten Menschen interessieren sich dafür sehr stark, eine weitere gesellschaftliche Bedeutung ist also Wissen für eine neue Beziehung zwischen Mensch und Natur.

  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Arbeit von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?

Für mich persönlich bedeutet Fortschritt, wenn ich den Meeren und Polarregionen Geheimnisse entlocke, Neues entdecke von dem wir noch nichts wussten. Um zur „Weltrettung“ ein bisschen beizutragen tue ich was in meiner Reichweite liegt, um das Wissen über Ozean und Erde, die Faszination für das Leben im Meere zu mehren und zu teilen. Das Wissen ist dabei auch eine Voraussetzung, die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zu schaffen, die effektiven Klima- und Naturschutz ermöglichen.

  • Verraten Sie uns Ihr liebstes Arbeitsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?

Mit dem Forschungsschiff auf Expedition gehen, mit dem U-Boot, Tiefseeroboter oder der Kameraplattform abtauchen und fremde Landschaften sowie unbekannte Lebensgemeinschaften untersuchen und dokumentieren.

  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremerhaven? Und woher kamen Sie?

Ich bin zuerst als Doktorandin ans Alfred-Wegener-Institut nach Bremerhaven gekommen. Davor war ich zum Studium in Hamburg und San Diego. Dann war ich länger in Warnemünde und dann wieder in Bremen am Max Planck Institut für Marine Mikrobiologie und der International University Bremen (später Jacobs University, heute Constructor University).

  • Was schätzen Sie am Land Bremen als Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?

Ich schätze die enge Verbindung zwischen den Wissenschafts- und Kultur-Institutionen des Landes, auch die kurzen Wege zur Wissenschaftspolitik in Bremen und Bremerhaven. Wir sind hier besonders stark in Meeres-, Polar- und Klimaforschung – und auch meine Schwerpunkte in der Tiefseeforschung und Meeresmikrobiologie sind hier top aufgestellt.

  • Fehlt Ihnen etwas?

Ich wünschte wir könnten eine viel stärkere Vernetzung zur Wirtschaft hinbekommen in den verwandten Bereichen Luft- und Raumfahrt, Seefahrt, regenerative Energien, Materialien und Nahrung aus dem Meer. Mehr Gründergeist und Innovationsfähigkeit am Standort wäre super.

  • Die Wege in Bremen und Bremerhaven sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?

Es gehört zu meinem Beruf, dass ich viel auf Reisen außerhalb bin, und da ist dann alles dabei – Bahn, Dienstwagen, Flieger - aber wenn ich ausreichend Zeit in Bremen und Bremerhaven habe, dann bewege ich mich gerne zu Fuß – am besten am Deich oder an der Weser entlang, mit dem Fahrrad für die Wege zur Uni und MPI.

  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?

Wal – großer Schwimmer, tiefer Taucher, lebt von Kleinem, aber macht richtig Masse draus, global vernetzt, singt laut und ist weit zu hören. Sämtliche Ausscheidungsprodukte und alles am Wal gut zu verwerten.

  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen/beruflichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?

Ich bin sehr stolz, dass uns gelungen ist, auch während der Corona-Pandemie Expeditionen wie die internationale Arktis-Mission MOSAiC 2019-2020 umzusetzen und das AWI offen zu halten. Da mussten alle mithelfen, auch die Reederei und Seeleute auf unseren Schiffen und Stationen haben erheblich beigetragen. Überhaupt sind es jetzt einige Krisen hintereinander, die uns herausgefordert haben und viel Management brauchen. Daher bin ich enorm stolz auf alle Mitarbeitenden, dass wir das gemeinsam schaffen ohne nachzulassen mit unserer Forschung.

Auch die Frage der verlässlichen Finanzierung und Erneuerung unserer Forschungsschiffe und Stationen ist eine Herausforderung, die immer viel Kommunikation und Einsicht in der Politik braucht. Aber soweit scheint es zu funktionieren.

  • Welche stehen Ihnen noch bevor?

Ich habe keine Glaskugel, weiß daher nicht, was an noch größeren Herausforderungen kommt. Auf jeden Fall steigt die Nachfrage nach unserem Wissen in der Gesellschaft enorm an. Ich würde sehr gerne erreichen, dass wir die Forschung gut weiter entwickeln und die richtigen Talente gewinnen, um die Erdsystem-Risiken in der kommenden Periode weiterer Erderwärmung verstehen, quantifizieren und auch breit kommunizieren können.

  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?

Neugierde und Wissensdurst wie ein ausgeprägtes systemisches Interesse sind für mich wichtige Eigenschaften als Wissenschaftler:in. Aber auch Humor, bodenständiger Optimismus und Lust auf Fortschritt.

  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?

Ich beobachte genau, wie Wissen und Erkenntnis aus der Forschung in der Gesellschaft aufgenommen und multipliziert werden, wo und warum es scheitert. Daraus versuche ich zu lernen.

  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?

Beim Reisen, in der Natur sein, aber auch bei Musik, Tanzen, einem guten Film, Zeit mit meinen Liebsten

  • Die nächsten Nachwuchswissenschaftler:innen ziehen nach Bremerhaven. Was würden Sie ihnen raten, wo man wohnen und abends weggehen soll?

Ich mag Geestemünde, aber es gibt auch gute Ecken rund um die „Alte Bürger“, mit großen Wohnungen, hohen Decken und Parkett zu bezahlbaren Preisen. Hier wohnen Jung und Alt, von leitenden Angestellten bis Studierende, und es gibt urige Kneipen zum Verweilen. Im Sommer natürlich am Deich sitzen.

Portrait Prof. Dr. Antje Boetius

© WFB/Jonas Ginter

Geburtsjahr

1967

Fachbereich / Forschungsfeld

Polar- und Meeresforschung

Aktuelle Position / Funktion

Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Aktuelle Tätigkeit / aktuelles Forschungsprojekt

Im Sommer leite ich eine Expedition rund um den Nordpol. Mein Team und ich wollen untersuchen, welche Konsequenzen der zunehmende Rückgang des Meereises für das Leben im und unter dem Eis hat, bis zum Tiefseeboden.

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